Mit dem noch jungen Hans Messer an der Unternehmensspitze, der im Alter von 28 Jahren seinen Vater Adolf als verantwortlicher Geschäftsführer ablöste, partizipierte die Adolf Messer GmbH an der blühenden Konjunktur der 1950er-Jahre.
Zum Wachstum Messers in der frühen Bundesrepublik trugen indes nicht nur die Geschäfte mit den Schlüsselbranchen des „Wirtschaftswunders“ (Hütten- und Schiffbauindustrie etc.), sondern auch die zahlreichen Gründungen von Tochter- und Beteiligungsgesellschaften im Ausland bei. Nachdem das Wachstum des Unternehmens in den frühen 1960er-Jahren an interne Grenzen stieß, fusionierte die Adolf Messer GmbH 1965 mit Teilen der Knapsack- Griesheim AG, die zum Konzernverbund der Hoechst AG gehörten, zur Messer Griesheim GmbH.
Mit der Fusion verlor die Familie Messer zumindest auf dem Papier an unternehmenspolitischer Macht, veränderten sich doch die Eigentumsverhältnisse im Unternehmen grundlegend: Das Stammkapital in Höhe von zunächst 30 Millionen DM wurde nun zu 66 2/3 Prozent von Hoechst und zu 33 1/3 Prozent über die Messer Industrie GmbH von der Familie Messer gehalten.
Obgleich das fusionierte Unternehmen als Firma eines großen Konzernverbunds an den Start ging, verstand es die Familie, ihren Einfluss auf die Geschichte Messer Griesheims über die Grundsatzvereinbarung zwischen Hans Messer und der Hoechst AG auf Dauer abzusichern. Wie im Vorfeld zwischen Hans Messer und Karl Winnacker vereinbart, wurde die ständige Präsenz der Familie in den Führungsgremien festgeschrieben. Die Geschäftsführung sollte „aus mindestens drei, höchstens vier Personen bestehen. Die Familie Messer ist berechtigt, solange ihre Beteiligung nicht unter zehn Prozent absinkt, einen Geschäftsführer, Hoechst ist berechtigt, zwei Geschäftsführer vorzuschlagen“. Weiter heißt es: „Jede Partei wird dem Vorschlag der anderen Partei bei der Bestellung der Geschäftsführer entsprechen, wenn nicht ein wichtiger Grund in der Person des Vorgeschlagenen entgegensteht.“
Einfluss erhalten
Zum ersten Vorsitzenden in der Geschäftsführung wurde Hans Messer ernannt, „solange er dies selbst wünscht“. Darüber hinaus verständigten sich beide Parteien darauf, einen Gesellschafterausschuss zu konstituieren, „in den Hoechst und die Familie Messer je zwei Mitglieder entsenden“ und der „insbesondere der Geschäftsführung gegenüber weisungsberechtigt sein soll“. Schließlich legte die Grundsatzvereinbarung unternehmenspolitische Entscheidungen fest, die „einer Mehrheit von 75 Prozent bedürfen“. Dazu gehörten unter anderem eine „Änderung des Gesellschaftszwecks“, die „Aufnahme größerer Kredite“ oder die „Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern“. Hinzu kamen diverse familieninterne Vereinbarungen, um den Einfluss auf das operative Geschäft nicht zu gefährden. So beschlossen Hans und Ria Messer etwa, mit ihren Kindern eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die alle Familienmitglieder verpflichtete, ihre Stimmrechte in der Messer Griesheim GmbH künftig nur noch gemeinsam auszuüben. Der Vereinbarung vom 29. Juni 1979, die Hans Messer zum ersten Stimmführer bestimmte, schlossen sich auch die Familie von Erika Heberer (Tochter des Unternehmensgründers Adolf Messer aus erster Ehe) und die Adolf Messer Stiftung an. Kurzum: Trotz einer Beteiligung von „nur“ rund 33 Prozent gab es durchaus einen 100-prozentigen Einfluss der Familie auf die Unternehmenspolitik.
Neue Anwendungen
Im zweiten Jahrzehnt nach ihrer Gründung zeigte sich rasch, dass es der Messer Griesheim GmbH gelungen war, Synergiepotenziale zu bilden, die nun konsequent ausgeschöpft wurden. Der weltweite Umsatz stieg seit 1975 im Sog einer mehrjährigen gesamtwirtschaftlichen Erholungsphase kontinuierlich, durchbrach 1978 erstmals die Schallmauer von einer Milliarde DM und lag 1984, im bis dahin erfolgreichsten Geschäftsjahr Messer Griesheims, mit über 1,7 Milliarden DM etwa doppelt so hoch wie zehn Jahre zuvor.
Der eigentliche Motor des Wachstums blieb das Geschäft mit Industriegasen, das zwischen 1975 und 1989 rund 70 Prozent zum Gesamtumsatz beitrug. Es zahlte sich für das Unternehmen vor allem aus, dass es gelang, neben den traditionellen Kunden in der Stahl-, Schiffbau, Automobil- und chemischen Industrie dank intensiver Forschungsarbeit neue Anwendungen für komprimierte und verflüssigte Gase, Gasgemische und Spezialgase zu erschließen und junge Wachstumsbranchen als Geschäftspartner zu gewinnen.
Nach der Erosion des „Eisernen Vorhangs“ in Osteuropa verstand es Messer Griesheim ebenfalls, die neuen Marktchancen in den ehemals sozialistischen Staaten zu nutzen, bevor im Frühjahr 1993 in der Geschichte Messer Griesheims eine Ära ihr Ende fand. Nach 40 Dienstjahren als Geschäftsführer zog sich Hans Messer, gemäß der Vereinbarung mit der Hoechst AG, im Alter von 68 Jahren aus dem operativen Geschäft des Unternehmens zurück. Allerdings blieb er dem Unternehmen in veränderten Funktionen erhalten und gehörte bis zu seinem Tod 1997 dem Gesellschafterausschuss und dem Aufsichtsrat an.